Blick in die Zukunft – Interview mit Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky

Sven Gábor Jánszky gehört zu Deutschlands bekanntesten und gefragtesten Zukunftsforschern und leitet Europas größtes Zukunftsforschungsinstitut. In unserem Interview nimmt er uns mit auf eine Zeitreise ins Jahr 2032. Er erzählt, welche maßgeblichen Trends unser Leben in zehn Jahren bestimmen werden, warum die meisten Unternehmen ihre Zukunftsplanung falsch machen und verrät uns seinen ganz persönlichen Wunsch für die Zukunft ist. (Text von Lisa Wagner)

 

Hallo Herr Jánszky! Was macht eigentlich ein Zukunftsforscher – der auch unter der Bezeichung Futurologist oder Trendforscher bekannt ist?
 

Zukunftsforscher erforschen die Zukunft, wie der Name schon sagt. Wichtig ist aber: Wir arbeiten nicht mit Glaskugel oder Kaffeesatz – es ist eine Wissenschaftsdisziplin. Es gibt Studiengänge und man kann darin promovieren. Wir treffen Aussagen über ungefähr die nächsten zehn Jahre. Das ist das, was man prognostizieren kann, weil die Entwicklung der nächsten Jahre in bestimmten Bereichen auf Kausalketten beruht: Wenn heute dieses passiert, dann geschieht morgen jenes. Diese Kausalketten kann man erkennen, indem man mit Menschen Interviews führt, die mit ihren Entscheidungen mehr über unsere Zukunft bestimmen als andere. Strategie- oder Technologiechefinnen und -chefs von großen, marktprägenden Unternehmen weltweit, zum Beispiel. Aber natürlich auch Politiker:innen. Mit diesen Menschen sprechen wir in Tiefeninterviews und führen das, was sie prognostizieren, zusammen. Dann spielen wir es wieder zurück, damit sie es erneut bewerten und so weiter. Das ist unsere wissenschaftliche Methode. So erarbeiten wir das wahrscheinlichste Zukunftsbild.

 

Sie prognostizieren die Welt von morgen. Was sind die wichtigsten gesellschaftlichen und technologischen Trends, die unsere Welt bis zum Jahr 2032 verändern werden?

Dazu haben wir natürlich hunderte Seiten von Studien. Ich beschränke mich am besten auf die drei Wichtigsten. Es gibt ganz viele interessante Technologien, aber eine ist entscheidender als andere: der Quantencomputer. Viele Veränderungen basieren darauf, dass die Rechengeschwindigkeit von Maschinen steigt. Diese Entwicklung setzt sich nicht nur fort, sondern wird durch den Quantencomputer noch schneller vonstattengehen. Viele glauben, der Quantencomputer sei Science-Fiction. Ich habe eine kleine Unternehmensgruppe, in der auch Technologie-Start-ups vertreten sind. Eines dieser Start-ups hat gerade den Auftrag von der Bundesregierung bekommen, hier in Hamburg bis 2026 den ersten skalierbaren Quantencomputer Deutschlands zu bauen. Das ist technologisch möglich und wir werden das machen. Quantencomputer können komplexeste Situationen simulieren. Stellen Sie sich die Zugbewegungen in ganz Europa vor, da geht es um enorm viele Daten. Ein menschliches Gehirn und einen heutigen Computer würde das überfordern, ein Quantencomputer kann es aber berechnen. In Peking gibt es Projekte, die in bestimmten Pilotgebieten den Stau haben verschwinden lassen, indem sie die Bewegungen der Autos prognostiziert haben.

Der zweite große Trend, der Mitteleuropa betrifft, hat nichts mit Technik zu tun, sondern mit der Demografie. Wir gehen in eine Welt der Vollbeschäftigung. Im Jahr 2025 wird es 6,5 Millionen weniger Menschen am deutschen Arbeitsmarkt geben als 2015. Unter dem Strich ergibt das etwa fünf Millionen nicht besetzbare Stellen. Bei jedem halbwegs ordentlich ausgebildeten Menschen führt das dazu, dass alle zwei Wochen ein Headhunter anruft. Wir rechnen damit, dass 40 Prozent der kontaktierten dann sagen werden: „Ich bin hier zufrieden. Bitte rufen Sie mich nicht mehr an.“ 20 Prozent sind ohnehin selbstständig. Und die verbleibenden 40 Prozent nennen wir Projektarbeiter:innen. Die reagieren auf Anrufe dieser Headhunter positiv und wechseln ständig den Job. Sie springen von Unternehmen zu Unternehmen, verdienen immer mehr Geld und besetzen die höchstbezahlten Stellen.

Ein weiteres interessantes Thema ist die Gesundheit. Es gibt fünf große Gesundheitstechnologien, die in der Summe dazu führen, dass unsere Kinder eine Lebenserwartung von 120 Jahren haben werden: Die Genanalyse erreicht in den nächsten zwei Jahren den Massenmarkt. Die individuelle Analyse kostet aktuell 400 Euro. Wenn der Preis unter 100 Euro rutscht, kann das die Krankenkasse bezahlen. Dann die Genreparatur. Genetische Krankheiten kann man aus dem Erbgut rausschneiden. Das ist momentan noch sehr teuer. Es gibt nur sieben Therapien, die kosten jeweils über eine Million Euro kosten. Das dauert noch 30 Jahre, bis wir da angekommen sind. Als Nächstes wäre die Verjüngung von Zellen zu nennen. Also das Zurückdrehen des Alterungsprozesses. Das gibt es und die Anwendung kostet aktuell 1.800 Euro. In zehn Jahren wird das massentauglich sein. Nächstes Stichwort ist die Ersatzteilorganproduktion. Da kommen wir in etwa 15 Jahren an. Und dann noch Medical Food. Also Nahrungsmittel, die individuell entsprechend körperlicher Bedürfnisse und Mängel produziert werden. Durch den Konsum dieser Nahrungsmittel erhalten sich die Menschen dann permanent gesund. Da kommt es nach unserer Prognose in fünf Jahren zur Marktreife.

 

Was bedeutet das für ein Unternehmen? Wie können die sich für die Zukunft rüsten?

Die meisten Unternehmen machen ihre Zukunftsplanung falsch. Wenn sie eine Strategie aufstellen, analysieren sie zunächst die Gegenwart. Wie sieht mein Unternehmen aus? Wie sieht meine Branche aus? Sie ermitteln so, wo sie gut und wo sie schlecht sind. Und dann fangen sie an, an ihren Schwächen zu arbeiten. Dabei kommt eine Strategie der leichten Verbesserung heraus.

Es gibt aber auch andere Unternehmen wie Google oder Amazon. Die sehen sich an, wie ihre Branche im Jahr 2032 wahrscheinlich aussieht. Dann bekommen sie ein Zukunftsbild und fragen sich: Wenn so die Zukunft aussieht, was ist dann meine Idealpositionierung? Welche Produkte muss ich anbieten? Wer sind meine Kunden? Wie viel Geld kann ich verlangen? Und dann kommt der entscheidende Schritt. Diese Unternehmen fragen sich nicht, was im nächsten halben Jahr passiert, sondern wie die letzten sechs Monate dieser zehn Jahre aussehen. Diese Methode heißt Backcasting. Die Strategie, die dabei entsteht, ist wesentlich technologie-affiner. Wenn sie wissen, dass in 5 Jahren ein Quantencomputer in Hamburg steht, dann sollten sie jetzt damit anfangen, ihre Mitarbeiter:innen dafür auszubilden. Ihre Konkurrenz wird es auch tun.

 

Was ist Ihr ganz persönlicher Wunsch für die Zukunft?

Die größte Triebkraft für Zukunftsentwicklung ist ein Phänomen, das kaum jemand in der Wirtschaft auf dem Zettel hat: Menschen, denen es heute nicht gut geht, benutzen Technologie, damit es ihren Kindern einmal besser geht. Das haben unsere Großeltern nach dem Krieg getan. Die haben Verbrennungsmotoren genutzt und verbessert. Wenn ich meine Großeltern danach gefragt habe, sagten sie immer: „Wir wollten, dass es unseren Kindern besser geht.“ Das Silicon Valley zum Beispiel ist genau von dieser Einstellung geprägt. Dahin kommen Immigrantinnen und Immigranten aus aller Welt mit einem Touristenvisum. Dann versuchen sie eine Arbeitserlaubnis und eine Festanstellung zu bekommen. Denen geht es in ihrer Heimat schlecht. Deshalb beschäftigen sie sich mit neuen Technologien und versuchen ihren Kindern damit ein besseres Leben zu ermöglichen. Dasselbe passiert zurzeit in China. Megacitys wie Shenzhen speisen sich durch Migration aus den Dörfern im Land.

Ich persönlich gründe Start-ups mit solchen Menschen und ich versuche auch meine Kinder damit in Berührung zu bringen. Mein Wunsch ist, dass wir uns in Deutschland davon nicht abkoppeln. Uns geht es wahnsinnig gut. Wir sind satt und saturiert. Für dieses Land ist das eine echte Herausforderung. Ich weiß noch nicht, wie das funktionieren soll, aber man kann sich ja auch Dinge wünschen, ohne zu wissen, wie man sie erreicht.  

 

 

Über Sven Gábor Jánszky
Sven Gábor Jánszky (Jahrgang 1973) ist ein deutscher Zukunftsforscher, Unternehmer, Autor und Speaker. Er leitet mit 2b AHEAD das größte Zukunftsforschungsinstitut Europas. Seine Bücher prägten die Strategien von Unternehmen verschiedenster Branchen.